Die Qualifikation für eine Teilnahme an Olympischen Spielen zu erreichen bedeutet für jeden Spitzensportler eine herausfordernde Aufgabe. Neben außergewöhnlichem Talent und Begeisterungsfähigkeit gehört ein langer Atem dazu, um nach harten Trainingseinheiten in unzähligen Wettkämpfen die geforderten Spitzenergebnisse zu erreichen und zu bestätigen. Als erster Harzer Skilangläufer erfüllte Helmut Gerlach in den 60er Jahren diese enormen Ansprüche. Er gehörte von 1961 bis 1968 zum Nationalkader und wurde zweimal für Olympia nominiert. Bei seiner ersten Teilnahme 1964 in Innsbruck blieb Helmut leider ohne Einsatz. Doch bei den X. Olympischen Winterspielen 1968 in Grenoble kam der Deutsche Skiverband an dem stets bescheiden und zurückhaltend auftretenden Braunlager nicht mehr vorbei. Er startete in der Einzelwertung über 15km und 50km sowie in der deutschen Staffel an der Seite nationaler Größen wie Walter Demel und Karl Buhl. Für Helmut der herausragende Höhepunkt seiner beachtlichen Karriere.
Helmut Gerlach wurde am 7.Juni 1937 in Hausdorf, Kreis Waldenburg in Schlesien geboren. Wie viele Schlesier musste auch er mit seiner Familie nach dem Krieg aus der Heimat fliehen. Gemeinsam mit Mutter und Großeltern gelangte er nach unbeschreiblichen Gefahren und Entbehrungen schließlich nach Braunlage. Sein Vater kam erst Mitte der 50er Jahre als „Heimkehrer“ aus sowjetischer Gefangenschaft zurück. Die Familie hatte anfangs einen schweren Stand in der neuen Heimat. Flüchtlinge aus dem Osten stießen allgemein auf heftige Vorbehalte vieler Einheimischer. Das „von oben" verordnete Zusammenrücken unter einem Dach führte zu einer ablehnenden Haltung, und nicht selten mussten sich die Flüchtlinge abfällig als „Rucksackdeutsche“ bezeichnen lassen. In Krisenzeiten ist sich jeder selbst der Nächste. An diesem Verhaltensmuster hatte selbst die zuvor viel beschworene zwölfjährige Schicksalsgemeinschaft nichts ändern können.
Der junge Helmut ließ sich vom dornenreichen Neuanfang indes nicht beirren. Schnell fühlte er sich wohl in der neuen Heimat. Und tat das, was er schon immer gern und intensiv betrieben hatte: auf Skiern stehen. Allerdings bestanden diese gegenüber den Zeiten in Schlesien nicht mehr aus gebogenen Fassbrettern, die von festgenagelten Lederriemen gehalten wurden, sondern aus richtigen Holzbrettern. Diese ließen sogar Sprünge auf kleineren Schanzen zu wie jene am Neddahang, unterhalb vom heutigen Maritim-Hotel in Richtung Wurmberg und Relexa-Hotel.
Helmuts Talent fürs Skispringen und Skifahren blieb den Trainern und Betreuern vom einheimischen Wintersportverein natürlich nicht verborgen. Schnell stand fest, dass seine eigentliche Berufung der Langlauf war. Mit Trainingsfleiß und Leistungswillen kämpfte er sich schnell in die Spitze vor. Speziell in den 50/60er Jahren fanden während der Skisaison fast an jedem Wochenende im ganzen Harz Wettkämpfe statt, bei denen Helmut mit vielen Siegen herausragte. Wie sehr er bald der regionalen Konkurrenz enteilt war, zeigte sich an den Harzer Meisterschaften 1964 in Bad Sachsa. Er gewann gegen eine stattliche Konkurrenz nicht nur die Titel über 15km, 30km und 50km sowie in der Nordischen Kombination(!), sondern mit dem WSV auch den Staffellauf über 4x10km. Eine einmalige Leistung bis zum heutigen Tag.
Sein erfolgreichstes Jahr auf nationaler Ebene war 1966. Bei den Nordischen Skimeisterschaften in Nesselwang errang er über 50km hinter dem „Abonnementssieger“ und deutschen Ausnahmeläufer Walter Demel einen beachtlichen zweiten Platz. Das Sahnehäubchen gelang ihm mit der 4x10 km Vereinsstaffel vom WSV Braunlage: vor den favorisierten bayerischen Staffeln wurde die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Ein historischer Sieg: die Harzer „putzen“ die Bayern!
Ein Erfolg, der sich leider nie wiederholen ließ.
Doch nicht nur in den nordischen Disziplinen glänzte Helmut. Bei einem Abfahrtslauf am Wurmberg lieh er sich kurzerhand alpine Bretter aus und fuhr den eigentlichen Favoriten und Dauersiegern aus St.Andreasberg siegreich davon.
Helmut Gerlach blieb trotz siebenjähriger Zugehörigkeit zum Nationalkader immer Amateur. Sein Geld verdiente er als gelernter Maurer im Bauhandwerk. Mit Ehefrau Ute, früher selbst aktive Skisportlerin, lebt er bis heute in Braunlage und ist Vater von zwei Töchtern. Den aktiven Skileistungssport beendete er 1971 mit einem Rennen auf Stieglitzeck im Harz –
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